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Teil 2 – Der Proletarier-Club – Ein Wunschtraum?

Lesezeit: 10 Minuten

Hier lesen Sie den zweiten Teil unserer HISTORY-Reihe „Ist das Gründungsdatum der Schlaraffia möglicherweise eine Fälschung?“. Der erste Teil startete am 12. August 2018. Um ganz sicher zu gehen, dass Sie keinen Teil verpassen, empfehlen wir Ihnen das kostenlose Abonnement durch Klick auf die gelbe Schaltfläche am Seitenanfang bzw. -ende dieses Artikels. Sie erhalten dann automatisch eine Benachrichtigung zugestellt.

[su_spacer size="35"][su_heading size="18"]Der Proletarier-Club - Ein Wunschtraum?[/su_heading]

Wann immer wir Schlaraffen auf Profane treffen und ihnen von Schlaraffia erzählen, dann erzählen wir auch von ihrer Entstehungsgeschichte. Und das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Überlieferung, die ich zu Beginn erzählte. Es ist die Geschichte des Ritters Drasal der Glockenturm (Schauspieler Albert Maertens), seinerzeit Wappen-, Adelsmarshall und Archivar der Allmutter Praga, die er 1898 in seiner „Chronica allschlaraffiae“ verewigte. Es ist aber auch bekannt, dass keine sicheren schriftlichen und authentischen Unterlagen existieren, die genau diese Überlieferung11 bestätigen. Somit darf unterstellt werden, dass diese Geschichte sich so nicht ereignet haben muss.

Ich möchte gerne erklären, warum ich die Geschichte des „Proletaria-Clubs“ anders sehe und lege dazu unterschiedliche Fundstellen vor.

Doch zunächst beziehe ich mich auf das Vorwort des 59 Seiten starken Heftchens mit dem Titel „Schlaraffia“12 von Dr. Karl Walko, seinerzeit Universitätsprofessor in Prag, aus dem Jahr 193613, das 1979 von der Schlaraffia Basilea neu aufgelegt wurde. Ein aufmerksamer Kantzler des Uhuversums sendete mir dieses Schriftstück via Email zu. Auzugsweise möchte ich wichtige Passagen benennen.

„Trotzdem der Verein Schlaraffia fast 80 Jahre besteht, ist außer einem Buche [...] nur wenig veröffentlicht worden, was dem Außenstehenden über das Wesen und den Zweck des Verbandes Aufschluß geben könnte. Bei meinen zahlreichen Besprechungen [...] über Schlaraffia [...] erkannte ich aber, daß die Öffentlichkeit über Schlaraffia fast gar nicht orientiert ist und die vielfach irrigen Anschauungen nur aus der völligen Unkenntnis der Verhältnisse heraus erfolgen. Dies veranlaßte mich, in Kürze [...] zusammenzufassen, was über die Geschichte [...] des Verbandes Allschlaraffia [...] für die Öffentlichkeit interessant und wissenswert erscheint.

Die Menschen urteilen leicht und unbedenklich über Dinge, die sie nur höchst oberflächlich kennen, und vergessen, daß, um zu urteilen oder gar zu verurteilen, bei jeder Erscheinung im Leben ein Blick in die Tiefe nötig ist. „In die Tiefe mußt Du steigen, soll sich Dir das Wesen zeigen“, meint Schiller mit Recht; wer aber folgt seinem Wort? Schnellfertiges Urteilen, hartes, unbegründetes Verurteilen hat in unseren Tagen auch Schlaraffia erlebt [...]. Es handelt sich mir im folgenden weder um eine Propaganda-, noch um eine Verteidigungschrift, sondern ausschließlich um eine wahrheitsgemäße Darstellung [...]. Darum mögen die folgenden Ausführungen dazu beitragen, ein wahres Bild dieses einzigartigen Bundes zu veranschaulichen.

Der Verfasser versucht ein „wahres Bild“ zu zeichnen, wobei mir folgende Zeilen auffielen:

Die Menschen urteilen leicht und unbedenklich über Dinge, die sie nur höchst oberflächlich kennen, und vergessen, daß, um zu urteilen oder gar zu verurteilen, bei jeder Erscheinung im Leben ein Blick in die Tiefe nötig ist.

Genau diese Worte beflügelten mich in meinen Recherchen, weil ich sie einmal in meinem zweiten, wie auch schon in meinem ersten schlaraffischen Leben erfuhr. Ja, ich war schon einmal Ritter und wurde es nun ein zweites Mal. Daher kann ich mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, wenn gereifte Ritter mich mit Jung-Ritter Applood anschreiben. Mit meiner Ritterarbeit wagte ich eine moderne Herangehensweise der Tiefe, die Überliefertes bestätigt aber auch manches als unrichtig entlarven dürfte.

Die Geschichte des Proletarier-Clubs ist ein wichtiges Merkmal in der Entstehung Schlaraffias. Sie ist der Stolz aller Schlaraffen, weil seinerzeit eine kleine Gruppe bedeutender Künstler es wagte, dem Protz der anerkannten Arcadia a) zu widerstehen, b) sie zu verlassen, um dann c) sie in einer eigenen Formierung aufs Korn zu nehmen, um deren Hochmut im künstlerischen Spiel zu persiflieren.

Mal ehrlich — gibt es etwas Schöneres, als Geschichten, in denen das „Gute“ gegenüber dem „Bösen“ siegt? Lieben wir nicht alle das klare, leichte und genüssliche Handeln? Und wäre dieses Treiben nicht auch bei jenen zu finden gewesen, die sich aus diesem Stolze zusammentaten? Müsste es nicht sogar eine Art „Leitmotiv“ zu jener Zeit gewesen sein, allein schon, um neue Mitglieder zu werben?

Liebe Leser, ich erlaube mir bewusst Fragen zu stellen, die auf die Bedürfnisse der Menschen gründen und durchaus nicht so unproblematisch gewesen sein dürften, wie sie uns im Nachgang dargestellt werden. So wurde die Schlaraffia bereits im 19. Jahrhundert immer wieder mit Geheimbünden, wie den Freimaurern, in Verbindung gebracht, so dass sich die Schlaraffia stets genötigt sah, eine Gegendarstellung in den örtlichen Tageszeitungen abzudrucken. Beispielhaft verweise ich auf die „Erklärung“14 aus dem Jahr 1894:

Nachdem das „Voralberger Volksblatt“ eine ihm von dem Vereine „Schlaraffia“ in Feldkirch am 10. d. M. zugesendete, auf die mehrfachen gegen denselben gerichteten Angriffe bezügliche Erklärung nicht nur nicht veröffentlicht, sondern sogar sich in weiteren Anwürfen ergangen hat, sieht sich der genannte Verein veranlaßt, Nachstehendes zu erklären:

  1. Die „Schlaraffia“ hat mit der Freimaurerei oder mit ähnlichen geheimen Gesellschaften nichts gemein, steht mit ihr in keinerlei wie immer gearteten Verbindung und hat mit ihnen auch absolut nichts zu schaffen.
  2. Antireligiöse oder politische Bestrebungen liegen dem genannten Vereine ferne; derselbe bezweckt lediglich die Pflege und Förderung der Freundschaft, der Kunst und des Humors.
  3. Anläßlich der am 7. und 8. d. M. abgehaltenen Stiftungsfeier des Vereins hat eine Verhöhnung des kath. Glaubens oder eine Demonstration gegen den Hochwürdigsten Herrn Bischof weder stattgefunden, noch war etwas derartiges - weil schon der ganzen Tendenz der „Schlaraffia“ zuwiderlaufend - je beabsichtiget.
  4. Die in den verschiedenen „Volksblatt“-Nummern enthaltenen Mittheilungen über das Thun und Treiben der „Schlaraffia“ beruhen zum Theile auf irrtümlicher Auffassung, im weitern und größten Theile aber auf Unwahrheit; die an diese Mittheilung geknüpften Schlüsse und Folgerungen sind daher gänzlich unberechtiget und um so bedaulicher, als durch dieselben die Bevölkerung gegen einen Verein aufgehetzt wurde, dem Männer aus dem Bürger-, Beamten- und Offiziersstande angehören und angehören dürfen, woraus allein schon hervorgeht, daß er die ihm vom „Volksblatte“ unterschobenen Tendenzen geradezu nicht verfolgen kann. Charakteristisch in dieser Beziehung ist übrigens die Thatsache, daß die Stiftungsfeier der „Schlaraffia“ in Darmstadt am 31. März d. J. im dortigen katholoischen Gesellenhofpizium stattgefunden hat. Die „Schlaraffia“ in Feldkirch hat es niemals nöthig gehabt, die Oeffentlichkeit zu scheuen und hat in den zwei Jahren ihres Bestandes zahlreiche Gäste in ihren Versammlungen willkommen geheißen, es wäre daher dem „Volksblatt“-Korrespondenten ein leichtes gewesen, sich bei ganz unpatheischen Personen über den wirklichen Sachverhalt zu informieren.

In eine Polemik mit dem „Vorarb. Volksblatt“ läßt sich die „Schlaraffia“ weiter nicht ein, wohl aber wird sie es nicht unterlassen, gegen weitere Angriffe den ihr zustehenden gesetzlichen Schutz anzurufen.

Und in der Tat, die Schlaraffia scheute die Öffentlichkeit nicht. Sie ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts häufig in der Tagespresse zu finden gewesen, mit kurzen und langen Geschichten. Sei es, dass sie für den Narren-Abend15 einlud und ein „komisches Kostüme“ zum Eintritte in die Narrenvertretung vorschrieb oder man der Prager Schlaraffia einen „Schlaraffinengalopp“16 als Tanzstück widmete. Auch bei Wohltätigkeitsveranstaltungen17 zeigte sich die Schlaraffia stets präsent, um mit dem Erträgnis einer Vorstellung möglichst hohe Spendeneinnahmen zu erzielen.

Schlaraffia war gesellschaftliches Leben, so dass sogar die größte Maskenleihanstalt D.J. Abeles18 1867 folgendermaßen warb:

An die geehrten Besucher des Narrenabends der Schlaraffia. Alle jene Herren, die etwa die Absicht haben zu diesem Abend ihre Kostüme von mir zu borgen, richte ich die höfliche Bitte, mir recht zeitlich ihre geschätzten Aufträge zukommen zu lassen. Daselbst werden auch Narrenkappen billig verliehen. Ich zeichne mich mit außerordentlicher Hochachtung.

Nun stelle ich die These auf, dass die Schlaraffia wegen ihrer Kunst allseits geschätzt wurde und die Geschichte des Proletarier-Clubs nicht verheimlicht hätte. Interessanterweise fand ich in den damaligen Zeitungen keine Hinweise auf einen Proletarier-Club; er tauchte schlichtweg nicht auf. Erst in einer Zeitungsausgabe von 1935 fand ich eine Berichterstattung mit dem Titel „Ritterliche Vereinigungen“19:

Die Ansichten über den Ursprung der „grünen Insel“ gehen aber in Ritterkreisen auseinander; während die einen behaupten, daß dieselbe aus der aufgelösten „Ludlamshöhle“ hervorging, (Richard von Freising „Das gegenwärtige Rittertum“ - Ritterschaftlicher Almanach 1905), erklären die anderen, „die grüne Insel“ sei als Nachfolge der aufgelösten „Wildensteyner Ritterschaft“ anzusehen. (Siegfried von Löwenklau und Kunz von Karneyd, „Deutscher Ritterspiegel“). Eine Abart der Rittervereinigungen, die durch eine große Anzahl von analogen Zeremonialbegriffen und die Gründerzeit (1859) auf die gleiche Abstammung hinweist, ist „die Schlaraffia“, die aus der „Arcadia“ in Prag, einer aus höheren Beamten und Künstlern bestehenden Gesellschaft, durch die Spaltung in den sogenannten „Proletarierverein“ hervorging.

In der Erzählung von Ritter Drasal20 zeigte sich der Opernsänger Albert Eilers entrüstet, so dass Franz Thomé seinen Austritt aus der Arcadia anmeldete und einige Mitglieder ihm folgten. Gleichzeitig zur Arcadia bestand eine Gesellschaft von Künstlern und Kunstfreunden, der Thomé und eine Mehrzahl seiner Künstler angehörten und ihre zwanglosen Zusammenkünfte in der Freund’s Restauration, Ecke Wassergasse und Grube, hatten. Die namenlose Tafelrunde nannten sie zum Trotz der Arcadia „Proletarier-Club“.

Dr. Karl Walko21 schrieb, dass die ausgetretenen sich einer bestehenden Tischgesellschaft anschlossen, die gleichfalls aus Künstlern bestand und in dem Freund’schen Gasthaus in der Grube, Ecke Wassergasse in Prag-Neustadt, ihr Stammlokal hatte. Und dort wurde im Frühjahr der „Proletarierklub“ als Trutzgesellschaft gegen die Arcadia gegründet.

Obwohl sich beide Versionen zunächst gleichen, gibt es den wesentlichen Unterschied, dass bei Ritter Drasal Thomé und seine Künstler bereits der „namenlosen Tafelrunde“ angehörten und bei Dr. Walko sie sich dieser Künstlergesellschaft anschlossen22.

Und Dr. Walko führt weiter aus, dass aus diesen Versammlungen sich allmählich ein Verein bildete, welcher den Namen „Schlaraffia“ führte. Wenn dieser „Proletarier-Club“ so bedeutend war, warum erzählten die Schlaraffen nicht öffentlich darüber?

Ist eine mögliche Antwort auf diese Frage gegeben, die in der Chronik des Verbandes Allschlaraffia zu finden ist? Denn dort heißt es, obwohl das Proletarier-Bild23 „Proletarier-Club in Nöthen“ ein geselliges Leben der „Freund’s Restauration“ zeigt, wird der Club als ein „verunglücktes Unternehmen“ ohne „Zugkraft“ und Mangel an „notwendigen Grundlagen, Inhalt und geistigem Ideale“ bezeichnet.

Und ich stellte mir die Frage, ob tatsächlich Franz Thomé der Arcadia angehörte? Laut obigen Überlieferungen „Ja“ - nur habe ich in öffentlichen Archiven der Jahre 1858/1859 ebenfalls nichts finden können. Hätte die öffentliche Berichterstattung damaliger Zeit, die sehr viel über Franz Thomé berichtete, gerade, weil er im April 185824 die Leitung des Prager Theaters übernahm und dieses sehr erfolgreich bis 1864 führte, nicht auch über seine Mitgliedschaft in der elitären Arcadia berichtet?

Übereinstimmend ist niedergeschrieben, dass die Aufzeichnungen über die allererste schlaraffische Zeit sehr spärlich sind und laut Dr. Walko mit einem Tagebuch oder Protokollbuch vom 4. November 186025 begannen. Selbst die „Chronica allschlaraffiae“ des Ritters Drasal ist erst 1898 – also 39 Jahre später – verfasst und „wohl mehr auf Grund vom Hörensagen schlaraffischer Erzählungen und Darstellungen“26 überliefert worden.


Lesen Sie in der nächsten Beitragsausgabe
„10. Oktober 1859 - Das magische Datum“

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11Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 51 (Seite 36 der Druckausgabe).
12„Schlaraffia“ von Dr. Karl Walko, Universitätsprofessor in Prag, Juni 1936, Neuauflage Juli 1979, Seite 3 des PDF-Dokuments und der Druckausgabe
13https://books.google.com/books/about/Schlaraffia.html?id=XLL7mQEACAAJ
14„Bregenzer Tagblatt“ vom 19. April 1894, Nr. 2477, Seite 3, mittlere Spalte unter „Eingesandt“
15„Fremden-Blatt“ vom 13. Jänner 1866, Nr. 11, Seite 5, Spalte 2
16„Prager Abendblatt“ vom 9. März 1877, Nr. 56, Seite 2, Spalte 3
17„Neue Freie Presse“ vom 13. Dezember 1881, Nr. 6213, Seite 7, Spalte 1
18„Prager Abendblatt“ vom 27. Februar 1867, Nr. 50, Seite 4 unten links
19„Neue Klosterburger Zeitung“ vom 12. Jänner 1935, Folge 2, Seite, 4, Spalte 2
20Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 51 (Seite 36 der Druckausgabe)
21„Schlaraffia“ von Dr. Karl Walko, Universitätsprofessor in Prag, Juni 1936, Neuauflage Juli 1979, Seite 5 des PDF-Dokuments (Seite 7 der Druckausgabe)
22Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 55 (Seite 40 der Druckausgabe)
23Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 56 (Seite 41 der Druckausgabe)
24„Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 10. Februar 1858, Nr 34, Seite 7, zweite Spalte zu „Prag, 28.Jan.“
25„Schlaraffia“ von Dr. Karl Walko, Universitätsprofessor in Prag, Juni 1936, Neuauflage Juli 1979, Seite 6 des PDF-Dokuments (Seite 8 der Druckausgabe)
26Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 51 (Seite 36 der Druckausgabe)

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