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Teil 4 – Die Schlaraffengesellschaft – Ein Werk aus dem Jahre 1880?

Lesezeit: 7 Minuten

Hier lesen Sie den vierten Teil unserer HISTORY-Reihe „Ist das Gründungsdatum der Schlaraffia möglicherweise eine Fälschung?“. Der erste Teil startete am 12. August 2018. Um ganz sicher zu gehen, dass Sie keinen Teil verpassen, empfehlen wir Ihnen das kostenlose Abonnement durch Klick auf die gelbe Schaltfläche am Seitenanfang bzw. -ende dieses Artikels. Sie erhalten dann automatisch eine Benachrichtigung zugestellt.

[su_spacer size="35"][su_heading size="18"]Die Schlaraffengesellschaft - Ein Werk aus dem Jahre 1880?[/su_heading]

Es liegt in meiner Natur, nicht immer alles gleich zu glauben, was einem erzählt wird. An sich ist man sehr froh, wenn Schlaraffenfreunde einen unterstützen und mit Materialien versorgen. Das bedeutet aber nicht, dass diese dann ungeprüft verarbeit werden. Viel zu oft habe ich in schlaraffischen Sippungen erlebt, dass die Protokollführung nur bedingt genau genommen wurde.

Mit der „Schlaraffengesellschaft - Jahrgang 1880“ gewann ich einen bewegenden Einblick in die Entstehung der Schlaraffia von 1859. Diese Geschichte klingt plausibel und Vieles spricht für diese Fassung - aber warum?

a) Ritter Plato der griechische Bummler, profan Eduard Schmidt-Weißenfels, war Mitbegründer der Schlaraffia in Prag und Gründer der Schlaraffia Berolina35. Ritter Drasal vom Glockenturm, profan Albert Maertens, war „lediglich“ Wappen-, Adelsmarschall und Archivar der Allmutter Praga.

b) Ritter Plato verfasste seine Geschichte 1880 und damit 18 Jahre früher als Ritter Drasal mit seiner „Chronica allschlaraffiae“ von 1898.

c) Aufgrund des starken Mitgliederzuwachses durch andere Berufskreise wuchs die neue Gesellschaft, die sich „Schlaraffia“ taufte und in ein geräumigeres und geeigneteres Lokal umzog.

Zu c)
Das neue Lokal kann nur das Gasthaus „Zum Hopfenstock“ gewesen sein. Dies geht u.a. aus dem Buch „Floegel-Ebeling‘s Geschichte des Grotesk-Komischen“36 aus dem Jahre 1887 hervor. Dort steht geschrieben:

Mit dem Wachsen der Mitgliederzahl stellte sich bald das Bedürfnis heraus, alles Zwanges ledig zu werden und behufs dessen ein eigenes, abgesondertes Local zu erwerben. Man fand es im Gasthause „zum Hopfenstock“, und dort erst nahm der Verein allmählich eine Gestaltung an, welche zu seiner Ausbreitung wesentlich beitragen sollte.

Auch die „Chronik des Verbandes Allschlaraffia“ spricht von der Stammburg Hopfenstock, wobei sie für sich erkannte, dass der erste Eintrag der „Chronologia“ mit „10.10.1859: Gründung der Schlaraffia in der 1. Stammburg Hopfenstock“ falsch sei37.

d) Ritter Plato beschreibt die Menschen, die erstmals am 10.10.1859 nach einer Vorstellung in einer Bierwirtschaft zusammenkamen, als junges Volk, bei dem sich lieb gebliebenes Studententum mit künstlerischer Genialität vermischte, das Kneipen ihnen Freude schenkte und jugendlicher Übermut nach Führung suchte.

e) Laut Ritter Plato gründete sich die Arcadia um dieselbe Zeit in Prag, wie die losen Künstlertreffen - also im Jahr 1859.

Zu d) und e)

Hierzu fand ich ein passendes historisches Dokument aus dem Jahr 186038, in dem u.a. geschrieben steht:

Schon existieren die „Arcadia“ und die „Schlaraffia“ da, zwei Gesellschaften, viel genannt in letzter Zeit. Die „Arcadia“ hält, insolange ihre Statuten noch nicht obrigkeitlich bestätigt sind, ihre privaten Conventikel39 vorerst im „Schwarzen Roß“. Dort sitzen jeden Mittwoch zwei Dutzend Literaten, Musiker, Maler und Schauspieler beisammen und suchen sich beim Pilsener Bier die Zeit, so gut es eben geht, zu vertreiben. Innerlichst beneiden Sie die glücklichen Schlaraffen, deren Statuten einen einzigen Paragraph haben, der da lautet: Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Lebenlang.

Bei den Conventikeln der „Schlaraffia“ bilden Frauen eine reizende Staffage40; sie sind kein Hinderniß für die Schlaraffen, an ihrem den Rittern der alten Wiener Ludlamshöhle abgelernten Motto: kein vernünftiges Wort zu sprechen, festzuhalten. Die „Schlaraffia“, die „weinliebende“, tagt oder nachtet vielmehr im „Hopfenstock“, hat sich also direct unter den Schutz des Königs Gambrinus41 gestellt. Obwohl die Schlaraffen einander das tiefste Schweigen über alles, was im Schoße der „Schlaraffia“ vorgeht, gelobt, und einige dem Verdachte der Wortbrüchigkeit anheimgefallene Schlaraffen auch schon durch ein Scherbengericht42 ausgestoßen haben, so dringen doch immer wieder neue Details über die Sitzungen der „Schlaraffia“ in das Publicum. Man hört von den Reden, mit welchen der Schlaraffia-Cicero neue Schlaraffen einführt, von den Carricaturen, welche der Schlaraffia-Hogarth entwirft, und bei denen schon deshalb, weil er ein Schauspieler minimorum gentium ist, besonders die Recensenten schlecht wegkommen; von theatralischen Vorstellungen, Conceptprogrammen und Schweinfestessen. Die Schlaraffen von reinstem Wasser betreiben die Sache ganz ernst, wichtig und leidenschaftlich.

Liebe Leser, Sie merken, dass wir bereits tief in die Materie eingestiegen sind. In obigem Text sind gleich mehrere Elemente enthalten, die ich für bedeutend halte und weiter untersuchen möchte, weil sie so gar nicht im Einklang mit der Chronik des Verbandes Allschlaraffia stehen. Darauf möchte ich wie folgt eingehen:

  1. Der Name „Schlaraffia“ scheint bereits etabliert zu sein. Der Zeitungsartikel stammt vom 23.02.1860. Somit ist belegt, dass schon weitaus früher die Namensgebung stattgefunden haben muss, als sie in der Chronik des Verbandes Allschalraffia mit einem Zeitkorridor zwischen dem 10.10.1859 und 10.10.1860 (3. Vers, der von Eilers ein Jahr später hinzugedichtet wurde, spricht erstmals vom „lieb Schlaraffenland“) angegeben ist43.
  2. Auch spricht der Artikel öffentlich aus, das „Bei den Conventikeln der „Schlaraffia“ bilden Frauen eine reizende Staffage44; sie sind kein Hinderniß für die Schlaraffen, an ihrem den Rittern der alten Wiener Ludlamshöhle abgelernten Motto: kein vernünftiges Wort zu sprechen, festzuhalten.“ tatsächlich schon erste ritterliche Gebräuche Einzug gehalten haben können, was in der Chronik des Verbandes Allschlaraffia als „bitterer Schnitzer“ des Ritters Drasal bei der Aufzeichnung seiner „Urstammrolle 1859“ bezeichnet wird. Denn deren Chronik verrät, das „noch kein Fünkchen von einem Rittertum“45 gewesen sein konnte.
  3. Das Lokal „Hopfenstock“ kann tatsächlich als der Ort schlaraffischer Gründung angesehen werden.
  4. Laut Ritter Drasal entwarf Ritter Plato die schlaraffische Verfassung46. Ritter Plato schreibt in seiner Geschichte folgendes47:

Im Anfang des Jahres 1861 hatte eins ihrer Mitglieder den ernsten Einfall, all dies Treiben und den Sinn des Schlaraffenthums in die regelrechten Formeln eines Reichsstatus, eines „Spiegels“, zu fassen, und mit dessen Annahme erhielt die Schlaraffia ihre stehende Organisation und trat in ein gefestetes Vereinsverhältnis. Im wesentlichen ist dies Statut bis heute maßgebend für alle Erweiterungen geblieben, welche die Gesellschaft erfuhr.

Wer war dieses eine Mitglied? Spricht Ritter Plato ggf. von sich selbst, weil er profan als Schmidt-Weißenfels schrieb? Mit Sicherheit ja, weil Schmidt-Weißenfels von der Übersiedlung nach Berlin im Oktober 1865 sprach, um eine neue Schlaraffia zu gründen - die „Berolina“. Ritter Plato ist der Gründer der Berolina.

Exkurs:
Zur Berolina erlaube ich mir einen kleinen Exkurs, denn sie bekam eine andere Form der Regierung, die nämlich statt dreier gewählter Oberschlaraffen einen „Mikado“48 als persönlichen Vertreter aller Weisheit zu den „Sippungen“ bekam und einen natürlich allmächtigen Reichskanzler in der japanischen Benennung eines „Taikun“49. Laut Schmidt-Weißenfels galt die Berolina als eine Abzweigung der Prager Schlaraffia, weil an eine Verbreitung des Schlaraffentums in andere „Burgen“ noch nicht gedacht wurde.

Vom Mikado-/Taikun-Regime, wie es in der Berolina praktiziert wurde, ist nichts mehr in der Schlaraffia verblieben. Die Chronik des Verbandes Allschlaraffia benennt übereinstimmend mit der Geschichte von Schmidt-Weißenfels, dass die Berolina ihre Eigenwilligkeiten zu Gunsten des Reyches zu Prag ablegte und selbige als Tochter anerkannte.

Bei so vielen Ungereimtheiten, wie ich sie durch viel Lesen und Prüfen entdeckte, bin ich doch ein wenig überrascht, wie man in der Vergangeheit uns das eine oder andere als „historisch belegt“ verkaufte. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich kein Historiker bin und auch nicht frei von Fehlern. Ich kenne aber die Strukturen des Internets, weiß um die Möglichkeiten des Recherchierens und kann Inhalte kombinieren. Das Bild der schlaraffischen Gründung wandelte sich mit jeder Ausgabe mehr.


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35„Derer Schlaraffia Zeyttungen“ vom Brachmond a.U. 106, Nr. 9, 93. Jahrgang, Seite 18 im PDF (Seite 16 der Druckausgabe), Juni 1965
36„Floegel-Ebeling’s Geschichte des Grotesk-Komischen“ von 1887, 5. Auflage, gefunden auf Google Book Search, Abschnitt „XIV. Allschlaraffia“, Seite 424 des PDF-Dokuments (Seite 372 der Druckausgabe)
37Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 94 (Seite 79 der Druckausgabe)
38„Die Presse“ vom Donnerstag, den 23. Februar 1860, Nr. 54, 13. Jahrgang, Seite 2, Spalte rechts, Artikel „Aus Prag“
39https://de.wikipedia.org/wiki/Konventikel
40https://de.wikipedia.org/wiki/Staffage
41https://de.wikipedia.org/wiki/Gambrinus_(Person)
42https://de.wikipedia.org/wiki/Scherbengericht
43Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 60 (Seite 45 der Druckausgabe)
44https://de.wikipedia.org/wiki/Staffage
45Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 60 (Seite 45 der Druckausgabe)
46Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 66 (Seite 51 der Druckausgabe)
47„Die Schlaraffengesellschaft“ erschienen in „Die Gartenlaube - Illustriertes Familienblatt“, Jahrgang 1880
48https://de.wikipedia.org/wiki/Tenn%C5%8D
49https://de.wikipedia.org/wiki/Tycoon

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