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Teil 5 – Irrgarten der Zahlen – Wer benennt die richtigen?

Lesezeit: 9 Minuten

Hier lesen Sie den fünften Teil unserer HISTORY-Reihe „Ist das Gründungsdatum der Schlaraffia möglicherweise eine Fälschung?“. Der erste Teil startete am 12. August 2018. Um ganz sicher zu gehen, dass Sie keinen Teil verpassen, empfehlen wir Ihnen das kostenlose Abonnement durch Klick auf die gelbe Schaltfläche am Seitenanfang bzw. -ende dieses Artikels. Sie erhalten dann automatisch eine Benachrichtigung zugestellt.

[su_spacer size="35"][su_heading size="18"]Irrgarten der Zahlen - Wer benennt die richtigen?[/su_heading]

In der vergangenen vierten Ausgabe wurde deutlich, dass verschiedene Jahreszahlen durch die Schlaraffia selbst durcheinander geraten waren. Natürlich ist es im Nachgang nicht immer leicht den Überblick zu behalten. Und je älter Schlaraffen werden, desto wahrscheinlicher sind auch Recherchepatzer. Die vielen Puzzleteile, die ich in historischen Zeitungen und Schriftstücken entdeckte und für meine Ritterarbeit zusammentrug, belegen, dass bisherige schlaraffische Entstehungsgeschichte anders verlief.

Zum besseren Verständnis halte ich verschiedene Fakten fest, die bis dato von mir gefunden wurden:

  1. Im allerersten Teil meiner Ritterarbeit habe ich die Ausgangssituation50 dargestellt und mit einem Exkurs darauf aufmerksam gemacht, dass sich das weltweite Bevölkerungswachstum ungleich mit dem Wachstum der Schlaraffia vollzog - es verlief klar gegenläufig.
  2. Im zweiten Teil51 zeigte ich auf, dass „Der Proletarier Club“ nicht existiert haben muss.
  3. Der dritte Teil52 erzählt von der Entdeckung der Geschichte aus dem Jahr 1880 „Die Schlaraffengesellschaft“, die vom Mitbegründer der Schlaraffia Praga und Gründer der Schlaraffia Berolina, Eduard Schmidt-Weißenfels (Ritter Plato der griechische Bummler), verfasst wurde. Weiter las man, dass zahlreiche Ungereimtheiten bisheriger Erzählungen ans Tageslicht kamen.
  4. Mit dem viertem Teil53 wurde das Werk „Die Schlaraffengesellschaft“ im Detail untersucht. Belegt werden konnte die Namensnennung „Schlaraffia“ schon vor dem Datum des 23. Februar 1860 und das die Gesellschaften Arcadia und Schlaraffia zeitgleich existierten. Ebenfalls durfte unterstellt werden, dass bei den Schlaraffen bereits ritterliche Gebräuche erkennbar waren.

Tatsächlich konnte ich den Gründungkorridor der Schlaraffia auf wenige Monate begrenzen, nämlich auf die Zeit zwischen dem 10. Oktober 1859 und dem 23. Februar 1860.

Obwohl die Geschichte „Die Schlaraffengesellschaft“ mir mit dem Erscheinungsjahr 1880 zugestellt wurde und diese inhaltlich vollkommen korrekt erscheint, hegte ich Zweifel. So las ich heraus, dass Schmidt-Weißenfels für das Ablegen der Eigenwilligkeiten der Berolina das Konzil mit dem Jahr 187554 zu Leipzig benennt. Die „Chronik des Verbandes Allschlaraffia“55, aber auch die „Geschichte des Grotesk-Komischen“56 vom Concil im Jahre 1876 sprechen. Finden wir hier erneut einen Beleg dafür, dass der Literaturkritiker H.M.57 zu Recht bemängelte, dass dem Verfasser Schmidt-Weißenfels die „historische Gewissenhaftigkeit“ fehlte?

Aufgefallen im Dokument58 aus dem Jahr 1880 sind mir zudem ganz andere Dinge, nämlich die zeitlichen Fakten, die nicht zum Jahrgang der Ausgabe passten; denn der Verfasser schrieb:

Ehrgeizig trachteten sodann die einzelnen Reiche, ihre besonderen Feste, wie Stiftungstage, zehn, zwanzig und dann gar fünfundzwanzigjährige Jubiläen, womit die Praga 1884 den Reigen stolz eröffnen konnte, mit allem schlaraffischen Hofstaatspomp in Szene zu setzen und den aus allen Reichen geladenen eine schöne Gastfreundschaft zu erweisen.

oder

Der Corpsgeist, welcher gegen die Arcadia die Trutzschlaraffen hatte erstehen lassen, kräftigte sich durch alle diese heiteren Thaten und Genüsse, er bewirkte eine Brüderlichkeit der Gesinnung, die, wie dreißig Jahre es bewiesen haben, nicht von verrauschender, phrasenhafter und schnell in Ernüchterung verfallender Flüchtigkeit war, sondern sich auch in förderndem und manchmal rettendem Beistand goldrein bewährt hat.

oder

Großartiges hat neuerdings die Berolina zur dreitägigen Feier ihres fünfundzwanzigjährigen Jubiläums in den unteren Räumen des Kaiserhofhotels geboten.

Die Stellen, über die ich stolperte, habe ich rot markiert. Ein Dokument aus dem Jahre 1880 kann unmöglich in die Zukunft blicken, um in selbiger über die Vergangenheit zu schreiben. Auch der Hinweis „wie es dreißig Jahre bewiesen haben“ ist vielmehr ein Beleg dafür, dass das Dokument nicht aus dem Jahr 1880 stammen kann, wie auch der Hinweis zu „25 Jahre Berolina“. Die Berolina wurde von Ritter Plato am 27.10.186559 gegründet, wobei es tatsächlich der 24.10.186560 war. Da es sich bei Schmidt-Weißenfels um eine nacherzählte Geschichte historischer Ereignisse handelt, erlaube ich mir dem Gründungsjahr der Berolina 25 Jahre hinzuzufügen und komme so auf das Jahr 1890. Der Artikel Schmidt-Weißenfels muss also Ende des Jahres 1890 bzw. Anfang des Jahres 1891 geschrieben und publiziert worden sein. Die Chronik des Verbandes Allschlaraffia spricht vom Jahr 1889 (1589)61, lässt dazu aber in ihrer Interpretation die zeitlich erwähnten Ereignisse der Geschichte aus und konzentrierte sich vermutlich nur auf die Erwähnung des 30jährigen Bestehens der Schlaraffia. Nur so ist zu erklären, weshalb sie glaubt, „Die Schlaraffengesellschaft“ stamme aus dem Jahr 1889.

Aber wieso zeigt das Deckblatt zur Geschichte das Jahr 1880? Meine Recherche zum Deckblatt „Die Gartenlaube - Jahrgang 1880“, die ich ebenfalls im Internet62 durchführte, ergab, dass das Deckblatt identisch mit denen aus den Jahren 1886, 1889, 1890, 1891, 1892, 1893 und 1896 war und somit mehrfach eingesetzt wurde. In heutiger Zeit ist so etwas undenkbar, weil Magazine und Journale mit jeder Ausgabe ihr Erscheinungsbild ändern. Somit ist das einzige Unterscheidungsmerkmal der Deckblätter zu „Die Gartenlaube - Illustriertes Familienblatt“ die aufgedruckte Jahrgangsausgabe.

Vorgenannte Zeilen belegen, dass der zeitliche Abstand der veröffentlichten Schriften aus der „Chronica allschlaraffiae“ des Ritters Drasal und „Der Schlaraffengesellschaft“ des Ritters Plato nur noch 8 Jahre betragen und nicht mehr 18 (vorher erwähnte ich den Zeitraum von 1898 zu 1880; nun von 1898 zu 1890).
Und beide Schriften sind der historische Beleg über die Gründung der Schlaraffia. Doch ist
Ritter Platos Schrift nicht nur 8 Jahre vor dem Werk des Ritters Drasal erschienen, sondern es ist auch die Wahl seiner Publizierung, die man berücksichtigen sollte.

Exkurs:
„Die Gartenlaube“ war eine deutsche illustrierte Wochenzeitschrift, die den neu erwachten Interessen des Volkes entgegenkam und in der Zeit von 1853 bis 1925 von Leipzig aus erschien, später von Berlin63. Die Illustrierte sprach als Unterhaltungs- und Informationsmedium die ganze Familie an.
Neben Gedichten, Erzählungen und Novellen, sowie Biografien kamen auch naturwissenschaftliche, völkerkundliche, geschichtliche und medizinische Aufsätze nicht zu kurz. „Die Gartenlaube“ startete mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren und erreichte in den Jahren 1875/1876 ihren Höhepunkt mit bis zu 460.000 Stück64. Noch bis zum Frühjahr 1885 ist die Auflagenzahl von 270.000 Exemplaren dokumentiert. Im September 1944 erzwangen die Kriegsfolgen die völlige Einstellung der Illustrierten.

Es darf also unterstellt werden, dass „Die Gartenlaube“ einen erheblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Aufklärung des deutschen Volkes im 19. Jahrhundert ausübte.

Ritter Plato alias Schmidt-Weißenfels benennt das Datum des 10.10.1859 als erstmalige „Verabredung in einer Bierwirtschaft“ von Mitgliedern des Prager Theaters, weil selbige nach einer Vorstellung dort zusammenkamen und die Benennung der neuen Künstlervereinigung als „Schlaraffia“ später erfolgte. In meinen Ausführungen konnte ich nachweisen, dass die Namensnennung „Schlaraffia“  sich schon viel früher festigte, als es die Chronik des Verbandes Allschalraffia belegt (s. Tageszeitung „Die Presse“ aus dem Jahr 1860).

Nun will ich einen weiteren Beweis liefern, dass der Name „Schlaraffia“ sich tatsächlich schon im Jahr 1859 etablierte. Die Wiener Theaterzeitung „Der Zwischen-Akt“ vom 30. Dezember 1859 schrieb65:

- Prag. Nach Dawison kommen im Frühjahr Hr. und Frau Gabillon […] zu einem Gesamtgastspiel nach Prag. Die Wallenstein-Trilogie wird für den Januar vorbereitet, ein um so dankenswertheres Unternehmen unseres kunstsinnigen und unermüdlichen Theaterdirektors Thomé, als merkwürdiger Weise die Piccolomini in Prag noch niemals aufgeführt wurden. Unsere Stadt wird jetzt zwei Künstlergesellschaften besitzen, deren Abgang bisher fühlbar war. Die eine heißt „Arcadia“ und wird sich bald nach Neujahr aus den Capazitäten der Wissenschaft, Literatur und Kunst constituieren, jedoch auch Dilettanten so wie Kunstfreunden offen sein. Die zweite heißt „Schlaraffia“, sie ist vorwiegend scherzhafter Tendenz und größtentheils aus Bühnenmitgliedern bestehend. Die letztere Gesellschaft feierte Samstag recht vergnügt und anregend Beethoven‘s Gedächtnistag.

Das Wort „Abgang“ ist mit „Aufbruch“ bzw. „Start“ oder „Fahrtbeginn“ zu verstehen und nicht etwa negativ mit „Abschied“, „Verlust“ oder „Ausfall“.

Obiger Artikel erschien in einer Freitagsausgabe, so dass der „Gedächtnistag“ an einem Samstag, den 17.12.1859 stattgefunden haben muss. Denn Ludwig van Beethoven wurde am 17.12.1770 getauft66. Demnach feierte die „Schlaraffia“ wohl den 89. Tauftag Beethovens (Ehrenschlaraffe Florestan).

Jetzt wissen wir, dass der Name „Schlaraffia“ schon tatsächlich vor dem 17.12.1859 existierte. Also können wir den zeitlichen Korridor der Namensgebung zwischen dem 10.10.1859 und 17.12.1859 einordnen. Ersteres Datum wird durch schlaraffische Überlieferungen benannt und letzteres durch weltliche.

Was ist also in jenen historischen 58 Tagen passiert und wer könnte den Namen „Schlaraffia“ der Theaterzeitung benannt haben?


Lesen Sie in der nächsten Beitragsausgabe
„Die Kunst des Geflunkers über die Gründungszeit der Schlaraffia“

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[su_spacer size="30"]———————————————
50Teil 1 – Ist das Gründungsdatum der Schlaraffia möglicherweise eine Fälschung?
51Teil 2 – Der Proletarier-Club – Ein Wunschtraum?
52Teil 3 – 10. Oktober 1859 – Das magische Datum
53Teil 4 - Die Schlaraffengesellschaft - Ein Werk aus dem Jahre 1880?
54„Die Schlaraffengesellschaft“ erschienen in „Die Gartenlaube - Illustriertes Familienblatt“, Jahrgang 1880
55Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 59 (Seite 44 der Druckausgabe)
56„Floegel-Ebeling’s Geschichte des Grotesk-Komischen“ von 1887, 5. Auflage, gefunden auf Google Book Search, Abschnitt „XIV. Allschlaraffia“, Seite 428 des PDF-Dokuments (Seite 376 der Druckausgabe)
57„Blätter für literarische Unterhaltung“ Nr. 15 vom 7. April 1859 aus dem Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig
58„Die Schlaraffengesellschaft“ erschienen in „Die Gartenlaube - Illustriertes Familienblatt“, Jahrgang 1880
59„Derer Schlaraffia Zeyttungen“ vom Brachmond a.U. 106, Nr. 9, 93. Jahrgang, Seite 18 im PDF (Seite 16 der Druckausgabe), Juni 1965
60Stammrolle Allschlaraffia a.U. 156/157 und das Wappen der Berolina in „Die Schlaraffengesellschaft“ erschienen in „Die Gartenlaube - Illustriertes Familienblatt“, Jahrgang 1880
61Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 89 (Seite 74 der Druckausgabe)
62http://www.ebay.de/itm/Die-Gartenlaube-illustriertes-Familienblatt-Jahrgang-1891-Sammelband-/322464235994http://www.ebay.de/itm/Die-Gartenlaube-Illustriertes-Familienblatt-Jahrgang-1886-sehr-gut-erhalten-/282398365833, https://picclick.de/Die-Gartenlaube-Illustriertes-Familienblatt-Jahrgang-1890-vollst%C3%A4ndig-332165493368.html, https://www.zvab.com/servlet/BookDetailsPL?bi=20338669699, https://www.zvab.com/servlet/BookDetailsPL?bi=20338701364, https://www.zvab.com/servlet/BookDetailsPL?bi=20308353242
63https://edoc.ub.uni-muenchen.de/2937/1/Baumgaertner_Margit.pdf
64Dissertationsarbeit zum Erwerb des Doktorgrades der Zahnheilkunde von Margit Baumgärtner 2004, https://edoc.ub.uni-muenchen.de/2937/1/Baumgaertner_Margit.pdf
65„Der Zwischen-Akt“ vom Freitag, den 30. Dezember 1859, Nr. 302, 2. Jahrgang, Seite 3, mittlere Spalte „Prag“
66https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_van_Beethoven

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