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Teil 7 – Bleibt die Entstehung Schlaraffias ein Geheimnis?

Lesezeit: 7 Minuten

Hier lesen Sie den siebten Teil unserer HISTORY-Reihe „Ist das Gründungsdatum der Schlaraffia möglicherweise eine Fälschung?“. Der erste Teil startete am 12. August 2018. Um ganz sicher zu gehen, dass Sie keinen Teil verpassen, empfehlen wir Ihnen das kostenlose Abonnement durch Klick auf die gelbe Schaltfläche am Seitenanfang bzw. -ende dieses Artikels. Sie erhalten dann automatisch eine Benachrichtigung zugestellt.

[su_spacer size="35"][su_heading size="18"]Bleibt die Entstehung Schlaraffias ein Geheimnis?[/su_heading]

In diesem siebten Teil werde ich weitere Mosaiksteine zusammentragen, um das Bild über das Gründungsdatum der Schlaraffia zu festigen. Ich bin wirklich froh, dass es aus dem 19. Jahrhundert viele öffentlich zugängliche Schriftstücke gibt. Doch verließ ich mich nicht ausschließlich auf sie, sondern verglich sie mit den Unterlagen, die seitens der Schlaraffia existieren. So z. B. mit dem „Vorwort zur Chronologia“72 des Praga-Archivs, welches mir freundlicher Weise durch die Asciburgia übermittelt wurde, in dem es unmissverständlich heißt (Auszug):

Bei den geretteten Teilen des „Praga-Archivs“ zu Bern hat sich überraschenderweise auch eine „Chronologische Übersicht der wichtigsten Ereignisse in der Schlaraffia des Zeitraumes von 1859 bis a. U. 49 (1908) gefunden. Es ist uns damit so etwas wie ein historisches Kalendarium des ersten Halbjahrhunderts „Schlaraffia“ und „Allschlaraffia“ erhalten. Allerdings fehlt auch hierin die allererste Zeit; der „Proletarier-Club“ ist gar nicht erwähnt; das Jahr 1859 enthält den einzigen, noch dazu unrichtigen Eintrag: „Oktober 10.: Schlaraffia wird gestiftet in der Stammburg Hopfenstock“ (richtig: „Stammokal bei Freund“), und für 1860 finden sich nur drei Einträge, und auch diese sind nachträglich erfolgt. Der Schreiber scheint keinerlei Wissen oder Erinnerungen um die allererste Zeit gehabt zu haben.

Der Schreiber war Ritter Drasal, den ich ja schon mehrfach erwähnte, der sein Werk 39 Jahre nach Schlaraffias Gründung verfasste. Doch ich erhielt noch einen weiteren Hinweis zum Gründungsdatum der Schlaraffia, der sich aus einem Artikel aus „125 Jahrungen Schlaraffia Asciburgia“ ergibt. In dieser Festzeitschrift wurde der Beitrag „Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der „Schlaraffia“ aus der „Gartenlaube“, Jahrgang 1884“““ abgedruckt.

Diesen Artikel fand ich tatsächlich im Original73 wieder, welcher 1884 von Max Door (Ritter Berent, den Freißlichen74) in dem weltbekannten Familienblatt publiziert wurde. Seine Geschichte ist bisher die einzige, die selbstsicher das schlaraffische Gründungsdatum in einer dynamischen und jugendlichen Weise benennt, wenn man seine Wortwahl liest:

An einem Stammtische in der primitiv ausgestatteten Gaststube des Brauhauses „Zum Hopfenstock“ in Prag ging es am 10. October des Jahres 1859, also vor rund fünfundzwanzig Jahren, außergewöhnlich laut zu. Die Tafelrunde, zum Theil glattrasirte Charakterköpfe, zum Theil wildbärtige Karyatidenhäupter75 mit wallendem Lockenhaare aufweisend, hörte einen mit lebhaften Gesticulationen erstatteten Bericht zweier Genossen in größter Aufregung an. Eine geschlossene Gesellschaft in Prag hatte einige zur Aufnahme gemeldete Schauspieler der damals noch vereinigten deutschen und böhmischen Theater in der Ballotage durchfallen lassen. Tiefe Erregung gab sich in dem Kreise der zumeist aus Bühnenmitgliedern, Schriftstellern und Musikern bestehenden Zechgenossen kund, und man beschloß als Gegenzug die Gründung einer eigenen Vereinigung, die alles philisterhafte76 Element ausschließen solle. Dem Beschlusse folgte sofort die Ausführung, und der Stammtisch that sich als Verein „Prager Schlaraffia“ auf.

Schaut man sich an, wer Max Door77 war, dann wird einem schnell klar, dass mit nur 34 Lebensjahren, er, für heutige Verhältnisse, einer noch immer jungen Generation angehörte, als er seine Version der schlaraffischen Gründung verfasste. Laut „Chronik des Verbandes Allschlaraffia“ war er Oberregisseur am Lobtheater und laut Wikipedia deutscher Theaterschauspieler und betrat erstmals die Bühne am Landestheater Prag 1867, also mit damals 17 Jahren.

Exkurs
Schlaraffia war seinerzeit von sehr sehr jungen Mitgliedern geprägt, was im Kontrast zur heutigen Schlaraffia steht. Gerne wird dann entgegengehalten, dass die Lebenserwartung damaliger Zeit erheblich niedriger war als heute. Dies kann als bedingt richtig angesehen werden, weil man zwischen der sehr armen und der reichen gebildeten Bevölkerung unterscheiden muss. Statistisch betrug die Lebenerwartung der Männer im 19. Jahrhundert78 35,6 Jahre, zum Ende bereits 40,6 Jahre79. Darin eingeschlossen ist die sehr hohe Sterblichkeitsrate von Kindern kurz nach der Geburt80. Des Weiteren sind die statistischen Aufzeichnungen damaliger Zeit nicht mit der Genauigkeit heute zu vergleichen und vielfach fehlerhaft. Als Beleg dient dafür, die Untersuchung „Unsere Vorfahren wurden älter als bisher angenommen“81 von Sozialhistoriker Dr. Kai Lehmann. Als gutes Indiz für das stattliche Alter der Schlaraffen dürften die eigenen Aufzeichnungen der Reyche dienen.

Kommen wir zurück auf Max Door, der eine vierte Version zur Gründung Schlaraffias in Kurzform präsentierte. Vergleicht man seinen Text mit der Erzählung von Schmidt-Weißenfels „Die Schlaraffengesellschaft“, so passt Door wunderbar in das von ihm gezeichnete Bild, dass Thomés Künstler jung, talentiert und aufstrebend waren. Dazu ihnen das lieb gebliebene Studentum sich mit künstlerischer Genialität verband, das Kneipen ihnen helle Lust war und selbige nach führender Hand suchten. Auffallend an der Version von Door (Ritter Berent) ist ebenfalls der fehlende Proletarier-Club. Bereits in meinem zweiten Teil zur Gründung der Schlaraffia habe ich auf die geringe Wahrscheinlichkeit der Existenz des Proletarier-Clubs82 hingewiesen.

Viel ist über Ritter Berent nicht zu lesen, weder in der schlaraffischen Chronik, noch in öffentlichen Zeitungen damaliger Zeit. Er soll an der Gründung der Schlaraffia Wratislavia in Breslau83 mitgewirkt haben. Und weil Informationen über ihn rar sind, wunderte es mich, dass man ihm aus dem Reyche der Asciburgia die Bedeutung des Datums der schlaraffischen Gründung zubilligte. Bei intensiver Recherche hätte einem auffallen können, dass ein so junger Schauspieler eher zu Übertreibungen neigte. Ein Beleg dafür findet sich in der Ausgabe des „Prager Abendblatts“ vom 17. August 1869. Darin heißt es84:

Seine Schilderungen über die Theaterzustände in Lemberg sind ziemlich grau. Ein gedrucktes Zirkular, das die Bühnenmitglieder von Lemberg aus in die Welt versenden sagt, der Direktor mache die glänzendsten (?) Geschäfte, aber er zahle die Gagen nicht, das Personal sei obdachlos; einer kampire Nachts auf der Promenade, ein anderer erzwinge sich Nachtlager im Theaterbureau, andere betteln, andere hungern!! Bekanntlich ist es den Provinzschauspielern eigen, recht grell zu malen; man braucht sich also die Sache nicht gar so schlimm vorzustellen.

Max Door war damals 18 Jahre jung und 34, als er über die Gründung Schlaraffias schrieb. Wollte er womöglich mit seiner Version in die schlaraffischen Annalen eingehen und sein Schauspielerdasein aufwerten? Indizien aus dem Jahr 187885 sprechen dafür, weil Kritiker unter anderem schrieben:

Die zwei wohlbeleibten Aspiranten Hr. Door und Hr. Henne, ebensowohl auch der schmächtigere Hr. Fuegelt gehören zu den Abgelehnten, bei denen allerdings ihre Vorzüge anerkannt wurden, aber hinsichtlich der Anforderungen, die sich mit Recht hier stellen lassen, schließlich doch nur ein „Mene mene tekel upharsin“ als endgiltiger Ausspruch herauskam.

Andererseits ist Max Door zuzugestehen, dass er im Jahr 1883 große und beachtliche Erfolge am Leipziger Theater einspielte. Hier schließt sich auch der Kreis zur Zugehörigkeit der Schlaraffia Lipsia.

Warum bleiben Zweifel an der Version zur schlaraffischen Gründung von Max Door?

Max Door war ein Künstler, ein Schauspieler, wie viele andere auch, die sich in der Schlaraffia fanden. Doch über ihn wurde sehr wenig geschrieben. Die allschlaraffische Chronik erwähnte ihn zwar, doch war er nicht als ein „bedeutender“ Schlaraffe geführt, der sich um sie „besonders“ verdient machte. Auch öffentliche Berichterstattungen sind spärlich, was seine schauspielerischen Erfolge angehen. Als Geschichtenschreiber oder Erzähler ist über ihn, bis auf seinen Beitrag „Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der „Schlaraffia““, wenig zu finden. Demnach gehe ich eher davon aus, dass Door lediglich das weitererzählte, was ihm als junger Schlaraffe irgendwie überliefert wurde, denn Belege für seine Version finden sich nicht.

So langsam kommen wir zum Ende meiner Recherchen, die aber noch einmal einen überraschenden Höhepunkt finden. Doch dazu mehr in meinem achten Teil.


Lesen Sie in der nächsten Beitragsausgabe
„Das Geheimnis der Schlaraffia“

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Pragabuch News

[su_spacer size="30"]———————————————
72 „CHRONOLOGIA“ nach dem Original im Praga-Archiv, Buchseite 139
73 https://de.wikisource.org/wiki/Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_715.jpg
74 Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 185 (Seite 170 der Druckausgabe)
75 https://de.wikipedia.org/wiki/Karyatide
76 https://de.wikipedia.org/wiki/Philister_(%C3%84sthetik)
77 https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Door
78 https://pro-heraldica.de/wissenswertes/lebenserwartung/
79 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/185394/umfrage/entwicklung-der-lebenserwartung-nach-geschlecht/
80 https://pro-heraldica.de/wissenswertes/lebenserwartung/
81 https://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Studie-Unsere-Vorfahren-wurden-aelter-als-bisher-angenommen-34221434
82 https://www.pragabuch.org/history/teil-2-der-proletarier-club-ein-wunschtraum/
83 Chronik des Verbandes Allschlaraffia zur Hundertjahrfeyer in Norimberga a. U. 100 (1959), digitalisierte PDF-Ausgabe Seite 185 (Seite 170 der Druckausgabe)
84 „Prager Abendblatt“ vom 17. August 1869, Nr. 193, Seite 3, mittlere Spalte unter „Vom Theater“
85 „Prager Tagblatt“ vom 9. August 1878, Nr. 219, Seite 5, mittlere Spalte unter „Theater-Zeitung“

 

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